Kätchen Grau war in der Missionsstunde gewesen und hatte eine Frau reden hören, die 15 Jahre lang Missionarin in Afrika gewesen war. Sie hatte nur von den schönen Erlebnissen erzählt, aber nicht von den schlechten, und Kätchen war begeistert und interessiert: „Ja, ich habe mich entschlossen Missionarin zu werden, wenn ich einmal 40 Jahre alt bin.“ „Warum willst du denn warten, bis du so alt bist?“, fragte Kätchens Mutter, indem sie ihre Näharbeit ruhen ließ. „Nun, ich will erst die Schule beenden und vielleicht auch noch Bücher schreiben und sehr viel Geld verdienen. Wenn meine Haare dann grau sind und meine Zähne ausfallen … dann denke ich, werde ich noch gut genug aussehen um Missionarin zu sein.“ „Sicherlich“, sagte Frau Grau, „das ist ein sehr guter Lebensplan, wenn du ihn ausführen kannst. Aber wie du weißt, war Frau Stephan, die letzte Woche gestorben ist, gerade 40. Glaubst du nicht, es wäre besser, etwas früher anzufangen?“ „Vielleicht wäre es mit 35 besser?“ „Jawohl, dann würdest du ungefähr sieben Achtel deines Lebens für dich behalten und ein Achtel dem Herrn weihen. Das würde in dem Fall von Tante Gertrud sein, denn du weißt, dass sie nur 35 Jahre alt geworden ist.“ „Nun, dann halt 30.“ Kätchen ging auf das Fenster zu und schaute hinaus. „30 ist besser, denn so alt wurde Tante Marie, als sie auf dem Heimwege von dem Abendtreffen aus dem Wagen geschleudert wurde. Wie du weißt, hat sie seit dem keinen Schritt mehr gehen können.“ Kätchen trommelte unruhig gegen die Fensterscheiben. Es schien ihr, als seien noch niemals so wenig alte Leute auf der Straße vorbeigegangen. „Vielleicht könnte ich mit 25 anfangen…“, seufzte sie. „Das ist jung genug um nach Afrika zu gehen“, erwiderte Frau Grau. „Du weißt doch, dass Frau Roland 25 war und vergangene Woche begraben wurde. Sie hatte vor, nach Indien zu gehen.“

„Ich sehe, es bleibt mir nichts anderes übrig, als dass ich mich gleich aufmache und gehe“, sagte Kätchen, indem sie sich vom Fenster abwandte und lächelte, während ihr Tränen an den Wangen herab liefen. „Du kannst auch hier jeden Tag missionieren, mein Liebling, wenn du eine Arbeiterin für den Heiland werden willst. Solltest du aber 25 Jahre für dich selbst leben, so würde es für dich ziemlich schwer werden, auf einmal damit anzufangen, für andere zu leben. Mein Liebling, träume nicht von großen Dingen, die du in Zukunft tun willst, sondern sei von Tag zu Tag in kleinen Dingen behilflich, bis der große Meister sehen kann, dass du stark genug bist, auch große Lasten zu tragen.“ „Ich will es versuchen, Mama. Ich kann ja helfen und auf mein kleines Brüderchen aufpassen und Besorgungen für dich machen.“ Kätchen fing unverzüglich an und half da und dort, wo sie nur konnte. Häusliche Missionare sind ebenso notwendig wie solche, die in ferne Länder ziehen, und für die Ernsten, Eifrigen steht immer ein Weg offen.

Kätchen verrichtete Missionsarbeit verschiedener Art, wodurch sie sich selbst sowie anderen um sie her ein Segen sein konnte. Manches konnte sie tun, um ihrer lieben Mutter zu helfen. Sie konnte kleine Aufträge erledigen, wobei sie wie ein Engel der Barmherzigkeit schien. Öfter trug sie einen Korb mit Lebensmitteln zu einer armen Witwe oder zu Waisen, manchmal sogar durch Schnee und Regen. Bald redete sie gütig mit Leuten, welche in Schwierigkeit und Bedrängnis waren oder sie führte die Kleinen in der Nähe zur Sonntagschule, die ohne ihre Dienste nie den Weg dorthin und ebenso wenig die Tür zum guten Hirten gefunden hätten. Ihren Schulfreundinnen und Nachbarskinder war sie stets und gern behilflich. Jedes Herz, ist es auch noch so klein, hat seinen Schmerz. So machte sie es sich zur Aufgabe, Mädchen in ihrem Alter ein Sonnenschein zu sein und ihren Kummer zu beseitigen. Sie tat für den Herrn alles, was sie in ihrem Alter tun konnte.

Auf diese Weise konnte Kätchen sich auf größere Missionsarbeit vorbereiten, welche sie in der Zukunft tun könnte, falls es dem Herrn gefiele. Wenn es seine Wille ist, sie in seinem Werk zu erhalten oder sie frühzeitig von dem Werk zu trennen, so wird sie sicher zu denen gehören, welche von den Lippen des Meisters die Worte hören wird: „O du fromme und getreue Magd, du bist mir über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen. Gehe ein zu deines Herrn Freude!“